Donnerstagabend klingelte mein Handy...
Donnerstagabend klingelte mein Handy und wer hätte es gedacht – die Dritte brauchte kompetente Unterstützung. Zwar war das Wochenende mit exzessiven Alkoholkonsum, lauter Musik und anderen Dingen fest verplant – doch was tut man nicht alles für seinen Lieblingsverein mit dem Springer im Vereinswappen? So wurden die Prioritäten neu gesetzt. Als Ausgleich für meine Opfer spielten wir im Westen, der Beginn war erst um 10 Uhr und ab 11 Uhr konnte man der Ersten über die Schulter schauen. Was will das Schachherz mehr?
Im Bürgerhaus angekommen traute ich meinen Augen nicht. Vier Jugendliche in einer Verbandsligamannschaft! Das muss denen erst mal einer nachmachen.
Pünktlichst um 10 Uhr legten wir los und meine Laune war nach 30 Minuten im Keller. An Brett 3 wurde 1 ganzer Punkt verschenkt. Bei 0 Punkten aus 5 Kämpfen können wir uns das locker leisten. (achtung Ironie) Beim Blick auf die anderen Bretter sah es nicht viel besser aus. An 1 konnte der Gegner von H.-U.Höschele einen kleinen aber dauerhaften Vorteil locker verwalten. An 2 stand O.Mock etwas besser. Die Stellung bei H.Schroeter war unklar. An 5 machte der König des Mannschaftsführers beim vollen Bretteinen Ausflug auf g6. An 6 saß C.Seyfried mit einem Bauern weniger, dafür aber mit aktiveren Figuren. An 7 stand V.Kaplunov mit schwarz ganz passabel und an 8 konnte der Autor dieser Zeilen mit weiß keinen nennenswerten Vorteil erkämpfen. Bei einer live-Wette hätte ich mein Erspartes auf einen Sieg von Tamm gesetzt.
Nach der Zeitkontrolle dann folgendes Bild:
H.-U.Höschele musste die Segel streichen. O.Mock gewann. H.Schroeter machte Remis. H.Lutz rettete sich ins Doppelturmendspiel, musste aber am Ende trotzdem dem Gegner gratulieren. C.Seyfried gewann und ich konnte ebenfalls gewinnen. Zwischenstand 3,5 zu 3,5 bei noch einer laufenden Partie. Vadim Kaplunov verteidigte sich mit Qualität weniger mit gleicher Aggressivität wie ein sibirischer Bär, der aus seinem Winterschlaf geweckt wurde.
Hier hatte Vadim 2 Möglichkeiten: entweder zieht er Sf6 – g8-f6 und stellt dem Weißen die Frage wie er weiterkommen will. Oder er nimmt auf g4 und versucht zu gewinnen. Bei 8 zu 4 Minuten zu unserem Gunsten war vieles möglich. Versunken in die Stellung und nicht auf den Zwischenstand achtend, ging er zum Mannschaftsführer und fragte: R(rrrrrr)ajicht R(rrrrr)emis?
An dieser Stelle muss ich zur Ehrenrettung meines Landsmannes etwas loswerden. Wir Russen waren nie dafür bekannt lange zu reden. Knappheit war immer unsere Stärke. Statt lange zu reden lassen die Russen lieber Taten folgen und drehen schon mal im Winter den Gashahn zu oder marschieren kurzerhand in ehemalige Bruderrepubliken ein. Das nenne ich pragmatische Politik – ohne lange zu fackeln.
Anstatt nun zu fragen: wofür reicht das Remis? machte H.Lutz einen Gesichtsausdruck als hätte er gerade eine Flasche Vodka auf ex getrunken und Vadim nahm schließlich auf g4. Nach den Wirren der Zeitnotschlacht, als kein Bauer mehr da war und schließlich der Springer eingestellt wurde, musste selbst der tapferste Kämpfer aufgeben. Und so stand man im sechsten Spiel in Folge mit leeren Händen da. Wenns nicht läuft, dann läufts eben nicht (tolle Tautologie) und daran können selbst die Russen nichts ändern.
Leonid Kanter