Ein Schach-Open in Malaysia
Im Internet findet man ja all die Gründe warum die Menschen in ferne Lande reisen. Oder warum sie nicht reisen sollten. Günter, ein deutscher Rentner den ich beim Schachopen traf, hat sich für die volle Dröhnung entschieden, und lebt jetzt mit einem 10 Jahresvisum in Malaysia. Bei mir ist dies meine 1.Reise nach Südostasien. Diese kombinierte ich mit dem Schach-Open auf Penang, einer Insel im Norden Malaysias. Malaysia ist bei Touristen beliebt wegen seiner guten Infrastruktur, niedriger Lebenshaltungskosten, ein Aufenthalt ohne Visum ist bis zu 90 Tage möglich. Als Rentner kann man damit die kalte Jahreszeit in Deutschland abkürzen. Durch die lange britische Kolonialzeit wurde englisch für viele Malaysier zur Zweitsprache, was unterwegs die Orientierung sehr erleichtert.
Auf der Eintrittskarte steht aber auch eine anstrengende Anreise mit 7 Stunden Zeitumstellung, die eine oder andere Magenverstimmung, eine hohe Luftfeuchtigkeit und Umweltverschmutzung. Hilfreich für mich als Alleinreisender ist die bemerkenswerte Gastfreundschaft die mich in Malaysia und vielleicht mehr noch auf Java überrascht hat! Die Menschen hier haben ein anderes Verhältnis zum Thema „Zeit haben“ als wir in Deutschland. Sie lassen sich in Ihrem Tagesablauf mehr führen von dem was von Außen auf Sie zukommt.
Noch in Deutschland versuchte ich mehr zum Penang-Open zu erfahren.
Ein mit Asien vertrauter Schachspieler schrieb mir „als Europäer holt man sich hier leicht eine blutige Nase“ in Anspielung auf die Elozahlen. Letztes Jahr hatte ich eine statistische Untersuchung zur Elo-Bewertung Jugendlicher gemacht. Nach dieser hängt in Indien die Unterbewertung stark damit zusammen, dass die Jugendlichen zwar viele elo-gewertete Turnier innerhalb Indiens spielen, da ihre Gegner aber meist selber Jugendliche sind, können sie ihr Niveau kaum anheben, es entsteht mit zunehmenden Alter dieser Jugend eine Elo-Deflation. Ich hatte meine Untersuchung auch dem indischen Schachverband und der zuständigen FIDE-Commission zukommen lassen, bekam zwar von der FIDE eine Antwort, aber keine die sich auf den Inhalt meines Artikels bezog.
Wer sich für den Artikel interessiert: are Elo-Ratings going down?
Wenn meine Daten stimmen so zeigt Tabelle 6 eine klare Elo-Deflation in Indien. Dass dem weder jemand widersprochen noch jemand zugestimmt hat finde ich schon seltsam.
Was nun die Jugendlichen in Malaysia betrifft, so dürfte hier die geringere Anzahl elo-gewerteter Turniere einen stärkeren Einfluss auf die Unterbewertung haben, als ich bisher dachte. Eine geringe Anzahl an Elo-Auswertungen gilt ja allgemein als der Hauptgrund für die zu niedrigen Elo-Zahlen Jugendlicher, weil naturgemäß die Bewertung ihrer tatsächlichen Spielstärke hinterherhinkt, wenn diese nicht in kurzen Zeitabständen gemessen wird.
In Südostasien konnte ich im Dezember nur 2 Open in Malaysia finden. Ein Open in Johor an der Grenze zu Singapore, und kurz darauf das Open auf Penang. Die Organisatoren stellten sogar einen Bus bereit, um die Spieler die beide Turniere spielten von Johor nach Penang zu bringen. Meine Mailanfrage zu Penang wurde frühzeitig beantwortet, sehr angenehm dass man als Ausländer das Startgeld erst bei Ankunft zahlen braucht. Bedenkt man die niedrigen Lebenshaltungskosten so war mein Startgeld mit fast 90 Euro allerdings recht hoch. Es ist abgestuft nach Spielstärke und erhöht sich wenn man kein Mitglied im malayischen Schachverband ist, das kann bis zu 180 Euro gehen. „Das Startgeld ist so hoch, weil wir keine Sponsoren haben“, sagte man mir. Da geht vielleicht mal noch was, dachte ich mir in Erinnerung an die Wolkenkratzer-Kulisse von Kuala Lumpur. Die wenigen Großmeister bekommen das Hotel im Doppelzimmer bezahlt und ein kleines Taschengeld. Der Turniersieger erhält 1700 Euro, im Challenger sind es ca. 250 Euro.
Vorsicht mit „electronical devices“! 2014 in Delhi tauchten plötzlich 2 Schiedsrichter bei mir am Schachbrett auf. Mein sehr junger Gegner hatte mich beschuldigt ein Handy in der Hosentasche zu haben. Ich ziehe meinen Fotoapparat aus der Tasche. Alles in Ordnung, mein Gegner bekommt einé Zeitstrafe. 2017 in Chennai stehen wieder 2 Herren bei mir am Brett. Jemand hatte gesehen, wie ich am Beginn der Runde ein Foto gemacht hatte und den Fotoapparat einsteckte. Meine Partie wird deshalb genullt, eine Verwarnung hätte es wohl auch getan. In Penang achtete ich nun sehr darauf nichts in der Hosentasche zu haben, doch da stehen wieder 2 Herren bei mir am Brett. Die Armbanduhr! Da habe ich wohl eine Lautsprecheransage überhört. Mir wird die Uhr abgenommen, ich darf aber weiterspielen.
Eine andere Lautsprecheransage hatte ich mitbekommen. „Bitte nicht in kurzen Hosen antreten, dies ist ein internationales Turnier! Und wer Sandalen anhat soll doch wenigstens Socken anziehen“ Ganz die alte Schule, kein Problem. Ein Trupp jugendlicher Helfer war täglich im Einsatz, damit alles reibungslos ablief. Der Rundenbeginn war immer sehr pünktlich.
Die Turnierleitung stellte auf chess-results die meisten Partien als pgn-download zur Verfügung. Ein hohes Ziel, denn bei der Lesbarkeit so mancher Partieformulare hat es mich nicht verwundert dass da gelegentlich eine falsche Zugfolge erfasst wurde.
Der weitere Turnierverlauf unterschied sich ansonsten nicht von Europa. Im Challenger (< Elo 2000) waren 198 Spieler am Start, 112 im Open. Ich hatte nicht den Eindruck dass meine Gegner sich vor der Partie auf mich vorbereiteten, es gab ja auch 3 Tage mit Doppelrunden. Was die Jugend betrifft habe ich in Deutschland zu wenig Jugendliche Gegner um einen Vergleich ziehen zu können. In der 1.Runde des Open gewann ich etwas glücklich gegen einen 13-jährigen (1480), im anschließenden Schnellturnier tat ich mich schwer gegen die Jugendlichen. Mit meinem Ergebnis im Open mit 5/9 war ich zufrieden, hatte schlimmeres befürchtet. Es siegten GM Mirzoef (2457) aus Asserbaidschan vor GM Sivuk (2588) aus der Ukraine und der titellose Sammed (2380) aus Indien. Ergebnisse bei chess-results
In Penang lernte ich Frank Kebbedies kennen, ein Deutscher der schon seit mehreren Jahren in Südostasien lebt, zuerst in Singapore derzeit in Malaysia. Er war so freundlich mir ein paar Fragen zum hiesigen Schachgeschehen zu beantworten:
Hallo Frank! Jan Gustafsson hat das Open von Bangkok als das beste Open der Welt bezeichnet.... nachdem er es gewonnen hatte. Gibt es in Südostasien ein Open das Du empfehlen kannst?
FK: Das Bangkok-Open ist sicher ein sehr gutes Turnier. Das Vietnam-Open, abwechselnd in Ho Chi Minh City und Hanoi ausgetragen, ist auch sehr gut. Aber bis auf das Bangkok Open ist die Zeitkontrolle überall kürzer (90 30) und es gibt jede Menge Doppelrunden. Das Malaysian Chess Festival im August in KL (Kuala Lumpur) ist wirklich gut organisiert, und insbesondere für starke Spieler (2200-2600) eine echte Herausforderung, Dann gibt es halt noch die Open in Hongkong, Singapur, Jakarta, das Selangor Open in Malaysia, und einige Turniere auf den Phillipinen. Unterstützt von der Kasparov Stiftung gibt es inzwischen auch ein Open in Laos und eines in Mynamar.
Wie sieht es mit Senioren-Turniere in Malaysia aus ?
FK: Mir ist nur das Senior-Open im Rahmen des KL Open bekannt. Das ist ein 50+ Turnier.
gibt es Mannschaftskämpfe in Malaysia ahnlich wie in Deutschland?
FK: Nichts dergleichen, nicht einmal eine nationale Liga. Auch Schachklubs gibt es meines Wissens nicht. Was die Turniere angeht, gibt es zumindest in der Hauptstadt Kuala Lumpur an Wochenenden viele kleinere Turniere, aber zum grossen Teil sind dies Schnellschach- oder Blitzturniere.
Kannst Du was zum Schachtraining in Malaysia sagen?
FK: Mein Eindruck ist, dass Schach in den Schulen immer stärker im Kommen ist. Tausende von Schülern lernen Schach, aber ich weiss nicht viel über die Umstände, war noch nie in einer Schule hier. Die Besten werden oft in den Schachakademien trainiert.
Wie hoch ist der Jugendanteil unter den Schachspielern in Malaysia ?
FK: Sehr hoch, nach meinem Eindruck. Bezeichnend ist auch, dass alle grossen Turniere terminlich in die Ferienzeit gelegt werden. Ohne Jugendliche gäbe es wahrscheinlich überhaupt nur ein oder zwei Turniere.
sind bezüglich der „electronical devices“ die Kontrollen nicht etwas zu streng?
FK: electronic devices’ sind deshalb ein grosses Thema, weil es wiederholt zu Betrugsversuchen kam. Beim KL Open muss man sich sogar zu jedem Toilettengang an- und abmelden. Übrigens kann jeder Muslim einen Uhrenstopp verlangen, um seinen Gebetsverpflichtungen während der Partie nachzukommen. In der Praxis wird das allerdings kaum genutzt, man macht das dann doch lieber in den Spielpausen.
Du hast einige Jahre in Singapur gelebt, wie ist dort die Schach-Lage?
FK: Nicht so viel anders als in Malaysia, keine Schachklubs, kein Ligabetrieb, viel Schach in Schulen, viele Coaches und Schachakademien. Ein Unterschied besteht vielleicht darin, dass die Chess Federation in Singapur sich aktiver um die besten Jugendlichen kümmert, d.h. Kadertraining mit National Coaches. Die Federation organisiert auch die Qualifkation und Entsendung zu den Jahrgangs-Asienmeisterschaften und zu Jugendschacholympiaden Fast alle Spitzencoaches sind jedoch ‚importiert’, zumeist aus den Phillipinen. Singapur hat bis jetzt einen Grossmeister produziert, in Malaysia wartet man noch darauf.
Hab Dank, Frank!
Im Anschluss an das Open wurde ein 8-rundiges Schnellturnier (15min+5sec) mit 99 Vierermannschaften ausgetragen. Beginn nach der Siegerehrung des Open, Ende am nächsten Tag. Eric, einer meiner Gegner im Open fragte mich ob ich in seiner Mannschaft mitspiele. Wegen der seltenen Gelegenheit (aber sicher nicht wegen meiner Kondition) sagte ich zu. Zwei meiner Mannschaftskollegen, Jonathan und Eric, hatten schon in der Olympiamannschaft Malaysias gespielt, pausieren aber nun schon seit ein paar Jahren. Kea arbeitet nebenberuflich als Schachtrainer. Er unterrichtet Jugendliche im Einzelunterrricht oder Gruppenunterricht, gefördert von den Eltern dieser Jugendlichen.
Statt Schachkombinationen will ich lieber ein paar Fotos aus warmen Gefilden in den deutschen Winter schicken. Die Aufnahmen am Brett sind vom Schnellturnier, im Open war fotografieren nur in den ersten 5 Minuten erlaubt. Ich schreib diesen Bericht auf Java, der Tag beginnt um 7 Uhr meist so mit 25 Grad. Vormittags Sonne, nachmittags oft ein Regenschauer.
Blick vom buddhistischen Tempel Kek Lok Si auf Georgetown
Die Insel Penang liegt im Norden von Malaysia. Wegen einem leicht verfallenen Charme, der Streetart, schöner Tempel und dem Essen ist die Hauptstadt Georgetown Anziehungspunkt für Touristen. Die Mehrzahl der Einwohner haben chinesische Wurzeln.
99 Vierermannschaften beteiligten sich an der Wah Seong Penang Chess League
Im Schnellturnier fanden manche Begegnungen bei den Zuschauern großes Interessse
Ein Vorteil des Schachspiels – jung und alt können sich am Schachbrett begegnen
leicht zu besiegen ?
wer meint Damen, oder gar Damen mit Kopftuch, seien im Schach leicht zu besiegen, der sitzt im falschen Boot. Das war einmal, die haben ganz schön aufgeholt.
Sieht nach einem Stand von 1,5:1,5 aus
Siegerehrung für Platz 1-10 im Open
Ganz links der immer aktive Turnierorganisator Tan Eng Seon. Ganz rechts See Swee Sie, die Präsidentin von Penang chess. Neben Ihr die Plätze 3,2,1.
Besonders viele Urkunden gab es in der Challenger-Gruppe
Die Siegerehrung beginnt mit der U8-Altersklasse
Vor dem Essen ein Gruppenfoto – wir haben ordentlich auftischen lassen
Im Schachturnier lernte ich gleich zu Beginn Wallace „join the revolution“ Sheridan kennen. Ein nach Australien ausgewanderter Ire. Wir gingen immer zusammen zum Essen. Neben mir Günter, der nach Malaysia ausgewandert ist, stehend Wallace und über mir Richard aus Ost-Malaysia der gute Tips hatte wo man am Besten Essen geht. Immer woanders!
Erstmals lernte ich Dim Sun Gerichte kennen. „Kleine Leckerbissen die das Herz berühren“ sagen die Chinesen. Ist jedenfalls liebevoll zubereitet und eignet sich auch als Zwischenmahlzeit
Diese Martkfrau verkauft ein süßes Getränk namens Jamu (traditionelle Kräutermedizin)
oder lieber Balla Balla als 2.Frühstück? „tut mir ruhig noch etwas chilli drauf“
In jedem Ort findet man einen Markt auf dem es noch recht traditionell zugeht
Street-Art in Kuala Lumpur - wie wär's mit einem Selfie?
Street-Art auf Penang - „Sillat Master“
einer der zwei großen Tempelwächter am Candi Plaosan auf Java
nicht ganz der Feldberg, besonders was die Vulkantätigkeit dieser Berge hier betrifft
Eine Welt im Wandel – dies wird einem in Asien vielleicht noch deutlicher bewusst als in Europa
Walter Wolf, 2020