Erba in Norditalien (Provinz Como) 18.-20.03.2011


Oder: Man kann nicht in jeder Partie Pech haben, vor allem nicht in Italien!

Ich liebe diese 5-rundigen Turniere am Wochenende, von denen es in Italien so viele gibt. Man verliert nur einen Arbeitstag, nämlich den Freitag, der - wie der Name schon sagt - sowieso frei sein sollte. Diese arbeitszeitsparende Turnierplanung ist für freischaffende IT-Leute wie mich ein wichtiger Aspekt.

Der Weg ist das erste Ziel

Die Strecke von Stuttgart nach Erba führt über die A81 Richtung Zürich und weiter zum Gotthard nach Chiasso und Como und beträgt nur 480 bequem zu fahrende Kilometer. Einziger Halt ist der kleine Parkplatz kurz vor Sisikon (Uri), wo ich meine Wurstbrötchen aus dem Kofferraum verspeise und dabei die wunderbare Aussicht auf den Südzipfel des Vierwaldstätter Sees genieße. Kurz vor dem Gotthard-Tunnel war übrigens angezeigt, dass der Gotthard-Pass gesperrt ist. Wie es auf der Passstraße aussehen kann, während unten im Flachland 35° Hitze herrschen, hatte ich vor ein paar Jahren mal gesehen: Auf dem Weg zur Gotthard-Paßhöhe

Runde 1 am Freitag Abend

Von den "Preiscritti" her konnte ich mir ausrechnen, dass ich in der ersten Runde wohl einen GM bekommen würde, da ich mit meiner ELO-Zahl knapp in der zweiten Hälfte der Startrangliste lag. Vielleicht wieder GM Sinisa Drazic (2467) aus Novi Sad in Serbien wie letztes Jahr im Juli in der ersten Runde in Bergamo?

Er hatte mich noch in bester Erinnerung, weil er erstens recht glücklich die Partie gewann - in der er schon ziemlich im "Hemd" stand - und zweitens von seinem zugelosten Erstrundengegner mit 4 Punkten erheblich mehr Buchholzpunkte beschert bekam, als von einem normalen "Patzer" aus der unteren Hälfte der Startrangliste zu erwarten war. Das hat ihm dort als Buchholzbestem von 4 punktgleichen Spielern auf den Plätzen 3 bis 6 mit jeweils 4.5 Punkten den gut dotierten dritten Preis eingebracht.

An seinem Verkaufsstand in Bergamo hatte ich 25 Euro investiert in das bekannte Buch "Mark Dworetski: Die Universität der Schachanalyse". Damit Sinisa gleich Bescheid wusste, habe ich ihn vorsorglich gewarnt, dass ich von dem Buch schon die ersten 5 Seiten durchgearbeitet habe (was glatt gelogen war), und er sich dieses Mal also warm anziehen müsse.

Irgendwann war dann die Auslosung raus und ich hatte an Brett 4 mit Weiß gegen GM Miroljub Lazic (SRB 2488) zu spielen, während Drazic an Brett 5 auf sein Opfer wartete. Es hatten schon alle Spieler ihre Plätze eingenommen, ich hatte meinen Partiezettel vollständig mit den Kopfdaten ausgefüllt und wollte gerade zum Start-Handshake ansetzen, als ein ziemlicher Lärm anhob. Es waren die Schiedsrichter! Sie fügten noch einen Spieler genau in der Mitte des Feldes ein. So mussten alle ab der Mitte einen Platz runterrutschen. Pardauz, ich also nicht mit Weiß gegen Lazic an 4 sondern mit Schwarz gegen Drazic an 5! Welche Überraschung nach dieser Vorgeschichte !!

Und, wie lief's dann so ? Na wie schon ? Nach wenigen Zügen wähnte ich mich erneut auf der Siegerstraße, um dann am Ende doch wieder zu verlieren. Wer weiß, vielleicht sollte ich das Dworetski-Buch wenigstens einmal aufschlagen !?

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GM Sinisa Drazic (2467) - Claus Seyfried (2159) 1-0

Gerade war 12.h2-h3 Lg4-f5 geschehen und Drazic realisierte wohl, dass er nicht mehr richtig gut steht. Nach 13.Se4xc5 Db6xc5 droht es auf c2 und auch sonst sind kaum vernünftige Züge in Sicht. Drazic investierte nun nahezu eine halbe Stunde seiner bisher kaum verbrauchten Bedenkzeit und verfiel schließlich auf 13.Sf3-h4. Nach den naheliegenden Zügen 13...Lf5xe4 14.Lg2xe4 Lc5-f2+ 15.De2xf2 Db6-b4+ 16.Ke1-d1 Qb4xe4 fühlte ich mich ziemlich wohl.

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Noch wohler hätte ich mich natürlich nach 16.Ke1-f1 gefühlt. Denn nun ging es so weiter: 17.Th1-e1 De4-a4 18.Lc1-d2 0-0-0 19.a2-a3

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19...Da4-b5 wäre jetzt ein richtig guter Zug gewesen. Stattdessen setzte ich mit c6-c5 gefolgt von Da4-c6 fort, so dass Weiß gut b2-b3, c2-c4 und Kd1-c2 spielen konnte. Anschließend stolperten sich die schwarzen Springer gegenseitig über ihre Hufe, während Weiß den Sh4 wieder ins Spiel brachte und bequem den Bc5 angreifen konnte, so dass ich überraschend schnell auf die Verliererstraße geriet: die erste Null!

Zwischendurch konnte ich noch verfolgen was an meinem ursprünglichen Platz geschah, dem Brett 4. Statt meiner spielte dort ein ziemlich jung aussehendes Kerlchen gegen GM Lazic, und zwar die Bauernopfervariante im Damengambit / Noteboom. Lazic wurde astrein eingedost, und ich dachte "Aha, schon wieder so ein körperlich zurückgebliebener 15-jähriger Nachwuchskader". Aber Denkste! Der Bezwinger von GM Lazic sah nicht nur aus wie 11, er war es auch ! Es war FM Francesco Rambaldi, Weltranglisten-Dritter bei den U12.

Runde 2 am Samstag Morgen

Am Samstag morgen kam ich in Runde 2 gegen den wohl schwächsten Spieler des Turniers und den zweitältesten (der Älteste bin ja ich !). Wie schnell man eine Partie verlieren kann, wenn man einen vermeintlich schwachen Spieler unterschätzt, zeigt diese Partie. Nach 25 abwechslungssreichen Zügen kam es zu dieser Stellung.

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Claus Seyfried (2159) - Savino di Lascio (1974) 1-0

Man glaubt kaum, dass das mal Caro-Kann war. Schwarz hatte drei Züge vorher lang rochiert, und ich hätte ihm so gerne endlich mal was weggenommen. Wenn ich mit dem Turm auf f5 schlage, Schwarz nimmt zurück und hat anschließend als einzigen Zug e7-e6. Aber dann kann ich ja auf g6 schlagen, der schwarze Läufer nimmt zurück, ein Turmschach auf c1 und nach Kb8 gewinne ich mit Dg3+ den Läufer auf g6 und habe damit das geopferte Material mit Zinsen zurück. Kaum gesehen schon gezogen. Aber Scheiße!!! Nach Tc1+ spielt Schwarz natürlich Sc7 und Lf4 scheitert an Dd1+ mit Grundlinienmatt. Aua, was nun ?

Nach 26.Te5xf5 folgte also e6xf5 27.Ld3xf5 e7-e6 28.Lf5xg6 Lf7xg6. Da ich nach 29.Tc1+ Sc7 schon ernste Probleme mit dem Ld2 habe, probiere ich mal 29.Dg3. Nach 29...Dd7-f7 30.Te1-c1+ Kc8-d7 31.Dg3-b3 Kd7-e8 32.Ld2-g5 Td8-a8 33.h2-h3 Df7-d7 hat Schwarz eine gesunde Mehrfigur. Entsprechend tonnenschwer war der Stein, der mir vom Herzen fiel, als er 3 Züge später seinen Springer einstellte und im Folgezug gleich noch ein Hilfsmatt nachlieferte.

Runde 3 am Samstag Nachmittag

In Runde 3 bekam ich mit IM Gojko Laketic ein weiteres Pfund mit einer ELO-Zahl über 2450. Im Mittelspiel dachte ich, ich könnte ein Bäuerlein gewinnen, übersah dabei aber den vorteilhaften Bauernrückgewinn und verlor recht schnell. Bemerkenswert dabei ist eigentlich nur, dass dieser Sieg 40% der Punktausbeute von Laketic bedeutete und er am Ende in der Tabelle hinter mir landete.

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IM Gojko Laketic (2452) - Claus Seyfried (2159) 1-0

Nach 10...Sd7xe5 11.f4xe5 Se4xd2 12.Dd1xd2 d5xc4 13.Ld3xc4 Ld6xe5

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erlang Weiß mit 14.Dd2-d3 nebst Tf1xf5 klaren Vorteil und gewann später.

Runde 4 am Sonntag Morgen

Am Sonntag in den beiden letzten Partien lief es dann endlich richtig gut. Endlich endlich endlich gelang es mir mal wieder eine Sizilianische Verteidigung an die Wand zu klatschen, dass es nur so krachte. Der Schwarzspieler vergaß vor allem seinen D-Bauern mal irgendwann vorzuziehen und den Damenflügel zu entwickeln, so dass ich ihn auf der Königsseite mit Dame, Läufer und Springer auf den schwarzen Feldern schwindelig spielen konnte. In dieser Stellung kam es zum Schlussakkord.

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Claus Seyfried (2159) - Simone Rota (2020) 1-0

26.Sg4-e5 Sf6-h5 (einziger Zug) 27.Dg3-g4 Df7-f6 (einziger Zug) 28.Se5xg6 h7xg6 29.Lb1xg6 Sh5-g7

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Nach 30.Lg6xe8? würde Df6xh6 die Feststimmung ein wenig verderben. Aber wir haben ja noch andere Figuren: 30.Te1-e3! und der Rest á tempo: 30...Te8-f8 31.Te3-f3 Df6-h4 32.Lg6-h7+

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Nun war es 11:00 Uhr am Sonntag morgen und die letzte Runde war für 14:30 Uhr angesetzt. Tatsächlich startete sie aber erst gegen 15:00 Uhr, weil um 14:30 Uhr noch Partien von Runde 4 liefen. Der Veranstalter hatte zwei Hotels empfohlen, die WLAN hatten, etwa 9-10 km entfernt lagen und das Zimmer zu 48 Euro anboten. Nach zwei Hotel-Übernachtungen hätte ich normalerweise am Morgen schon mein Zimmer räumen müssen und nun eine ungemütliche Wartezeit vor mir. Aber zum Glück hatte ich vor der Reservierung nach einem "Late Check Out" gefragt. So hatte ich mein Zimmer bis 15:00 Uhr ohne Zusatzkosten, da die Hotels in dieser Jahreszeit bei maximal 20% Belegung natürlich auf jeden Sonderwunsch eingehen. Es war also Zeit ein paar Fotos von der Gegend zu machen und später auf dem Zimmer auszuruhen.

Runde 5 am Sonntag Nachmittag

In der letzten Runde bekam ich einen jungen Gegner mit etwa gleicher ELO-Zahl, der keine Lust auf ein müdes Salonremis hatte. Stattdessen zog er es vor in Spanisch Abtausch sein vorzeitiges Ende anzustreben.

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Andrea Locatelli (2123) - Claus Seyfried (2159) 0-1

Die letzten Züge von Weiß waren z.T. ein wenig extravagant: 11.g2-g3? 0-0 12.Kg1-g2 13.b2-b3.

Ich fand einfach keine Widerlegung von 13...Ld6-b4 und zog es daher. Die lange Denkpause von Weiß machte mir Mut. Weiß hätte 14.Lc1-b2 oder 14.Sf3xe5 probieren müssen. Stattdessen wählte er mit 14.Sd2-c4 eine klare Verlustvariante mit der Folge: 14...Td8xd3 15.c2xd3 Lb4-c3 16.Ta1-b1 Sf6xe4 17.Sc4xe5 Lc3xe5 18.Sf3xe5 Tf8-f2+ 19.Kg2-g1 Lg4-h3

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Nach 20.Lc1-e3 Tf2-g2+ 21.Kg1-h1 Se4-c3 22.Tb1-e1 Tg2-a2 räumte ich alle weißen Bauern am Damenflügel ab und gewann die Partie leicht.

Für den Ratingpreis < 2150 in Höhe von 100€ war mein aktuelles Rating gerade mal um 10 Punkte zu hoch. Obwohl ich also - im Gegensatz zu Bergamo 2010 und Soazza 2010 - dieses Mal keinen Preis gewonnen hatte, wartete ich noch bis zur Siegerehrung, weil das bei Turnieren in Italien und Frankreich immer ein Ereignis ist. Anschließend war die Rückfahrt angesagt und um Punkt 24:00 Uhr war ich zuhause in Stuttgart.

Fazit für mich:

Eine sehr schöne Partie gegen Sizilianisch und 11 ELO-Pünktchen plus und damit die Hälfte der im zweiten Challengers-Turnier in Gibraltar eingestellten Punkte wieder ausgeglichen. Aber .... ich muss mir endlich abgewöhnen gegen die GM so blöd zu verlieren!

  Claus Seyfried, 26.03.2011