Es war einmal...., so ungefähr fangen Märchen an; es war ein Märchen als die Stuttgarter Schachfreunde 1879 e.V. Anfang des Jahrtausends in der 1. Deutschen Schachbundesliga spielten. Einigen dürfte noch die großartige Veranstaltung an einem Wochenende im März vor fast 10 Jahren im Hause Dürr in Erinnerung sein.
Gemeinsam mit dem Betriebsrat der Firma Dürr konnten wir den Vorstand Dürr bewegen, für dieses einmalige Schachevent im Rahmen der Dürr-Veranstaltungsreihe „Kultur erlebt“ die Schirmherrschaft zu übernehmen. Ich wurde damals vom Vorstand und Betriebsrat gebeten einen Bericht zu verfassen.
Da die Dürr-Mitarbeiter in der Mehrheit sich wahrscheinlich unter Schach ein ähnliches Brettspiel wie z.B. Halma oder auch etwas anderes vorstellten, habe ich versucht die geistige Verbindung zwischen Schach als Sport – Kultur – und Management herzustellen sowie auf die erzieherischen Elemente in der Ausbildung junger Menschen hinzuweisen. Bis auf das damalige Ergebnis dürften die Ausführungen auch heute noch aktuell sein.
Der liebe Leser, ob er die Grundbegriffe des Schachs versteht, oder auch nicht, wird sich zunächst fragen: „Was hat Schach mit Kultur zu tun“? - oder : „Was hat Schach mit Dürr zu tun“? - Beide Fragen sind berechtigt!
Bevor ich auf das eigentliche Geschehen eingehe, möchte ich versuchen eine Antwort zu finden oder auch Anregungen zu geben bzw. eine Verbindung herzustellen, aus der der Leser sich selbst eine Antwort ableiten kann.
Es ist nicht meine Absicht und würde auch den Sinn dieses Beitrages verfehlen, wollte man in den folgenden Ausführungen eine ausführliche Darstellung oder auch nur einen gedrängten Abriss über die Frage vom Wesen und Ursprung des Schachs geben.
Die Philosophie des Schachs ist weit tiefgründiger, als ich es zu interpretieren in der Lage wäre; es würde auch den Rahmen dieses kleinen Aufsatzes sprengen. Lassen Sie mich bitte einige Gedanken zu den Themen
Mag die Heimat des Schachspiels in China, Indien oder wie neuerdings vermutet wird im alten Iran zu suchen sein, seine Ursprünge liegen jedenfalls in nebelhafter orientalischer Vergangenheit. Der Sage zufolge wurde das Schachspiel in friedlicher, spielerischer Symbolisierung kriegerischer Auseinandersetzungen vor Jahrtausenden angeblich von dem Brahmanen Sissa für einen indischen Herrscher erdacht.
In Europa wurde das Schachspiel um die Mitte des 8. Jahrhunderts n. Chr. zunächst von Spanien aus durch die Mauren bekannt. Später wurde es durch die Sarazenen von Sizilien und Unteritalien aus erneut verbreitet, insbesondere auch durch die Berührung der europäischen Ritter mit der orientalischen Kultur im Gefolge der Kreuzzüge. Als bevorzugtes Spiel der vornehmen Kreise, als klassisches Spiel der europäischen Ritterkultur, erfreute es sich während des gesamten Mittelalters allgemeiner Beliebtheit und systematischer Förderung.1 Natürlich haben sich die Bezeichnungen der Figuren und auch die Regeln im Laufe der Jahrhunderte geändert. Die in den letzten zwei Jahrhunderten in Europa festgelegten Bezeichnungen und Regeln haben sich weltweit durchgesetzt und damit wird das Schachspiel heute überall in der Welt unter gleichen Voraussetzungen gespielt.
Schach steht damit für mich neben den Kulturgütern – Musik-Literatur-Tanz- auf gleichberechtigter Ebene. Ist Schach ein Spiel? Es ist nicht nur Spiel, sondern auch Spiel! Mendelsohn, ein Freund und Schachpartner Lessings, beanstandete am Schachspiel, es sei zu sehr Spiel, um Ernst, und zu sehr Ernst, um Spiel zu sein. Goethe nannte das Schachspiel einen „vorzüglichen Probierstein des menschlichen Gehirns.“ Svenonius hält das Schachspiel für „kristallklare Mathematik in Dramenform.“ Von der Lasa, der große Theoretiker des 19. Jahrhundert hat es vielleicht am umfassendsten definiert, indem er es seinem Wesen nach als Spiel, der Form nach als Kunst, der Darstellung nach als Wissenschaft bezeichnete. Diese klassische Definition dürfte Marco in seinem Karlsbader Turnierbuch von 1907 vorgeschwebt haben, als er den Sinn des Schachspiels folgendermaßen zusammenfasste: „Das Schach ist nicht bloß ein Spiel, das uns angenehme Zerstreuung bietet, es ist eine Kunst, der das Genie seinen Stempel aufdrückt, eine Wissenschaft, die dem forschendem Denker den Einblick in den Mikrokosmos gestattet, der die ureigene Schöpfung seines Geistes ist.“ Diese großartige Sinnerfassung erinnert unwillkürlich an das Wort von Novalis: „Alles Vollendete spricht sich nicht allein, es spricht eine ganze mitverwandte Welt aus!“
Es ist sehr erfreulich, dass das Schachspiel und die erzieherischen Elemente des Spieles immer häufiger Eingang in Schulen findet. Es ist unbestritten, dass Schach der Förderung individueller geistiger Fähigkeiten dient, vor allem Logik – Konzentration – das Muss zur Objektivität – vorausschauendes Denken – Disziplin - werden stark geprägt. Ebenso wird man durch das Schachspiel angehalten Vorgänge zu Ende zu denken, um dann die richtige Entscheidung treffen zu können, verbunden mit der Notwendigkeit dafür dann auch die Verantwortung zu übernehmen. - Wie im richtigen Leben!2
Seit undenklichen Zeiten sind die Kampfspiele Lehrmeister des Menschen gewesen. Lange schon bevor es auch nur eine Spur von wissenschaftlichem Denken gab, lernte der Mensch planvolles Handeln im Spiel. (Dr. Emanuell Lasker - Schachweltmeister 1894 - 1921)
Grundlage jeder sportlichen Betätigung ist der Kampf, besser gesagt der Zweikampf, als Überbleibsel aus frühgeschichtlicher Zeit, als der Kampf um das tägliche Überleben, der Selbsterhaltungstrieb, in weit höherem Maße als heute, für das Fortkommen und die Erhaltung der Art Voraussetzung war. Als Königin aller Sportarten sei hier die Leichtathletik genannt.
Es besteht für mich kein Zweifel daran, dass Schach auch ein Sport geworden ist. Das zeigen zur Genüge schon dem oberflächlichen Blick die Form seiner Ausübung in organisierten Turnieren, von den kleinen Vereinen – bis zu den großen internationalen Meisterturnieren bis hin zur Weltmeisterschaft.
Die entscheidenden Kriterien des Sports sind nur diese:
Es wäre falsch, den Begriff „Sport“ auf die in Wettkampfform ausgetragenen Leibesübungen zu beschränken, es sei denn, man versteht unter Sport nur die Ausübung körperlicher Aktivitäten. Dann aber müssen sich Kritiker die Frage gefallen lassen, ob deren Verständnis vom Körper die Anwesenheit des Kopfes ausschließt.
Management steht für die Ausübung problemorientierter Denk – Entscheidungs – Koordinations – Motivations – und Kontroll – Prozesse. Deren erfolgreiche Durchsetzung erfordern: - Kreativität - Ausdauer - Initiative - Konzentration - starke Nerven - gutes Gedächtnis - sowie ein hohes Maß an persönlichem Engagement.
Unter Führungskräften wird der Kreis von Aktiven verstanden, der Führungsaufgaben erfüllt, gleichgültig ob dies als Unternehmer, als Angehöriger des oberen, mittleren oder unterem Management der Fall ist. Je größer und verantwortungsvoller die Aufgaben sind, um so mehr treten die angelernten Kenntnisse in den Hintergrund und die Bedeutung und Wirksamkeit oben aufgeführter Fähigkeiten nimmt zu.3
Im Auftrag des Laboratoriums für experimentelle Psychologie und Psychotechnik in Moskau haben Wissenschaftler über Experimente an den Teilnehmern des internationalen Schachturniers in Moskau 1925 berichtet. Aus diesem Bericht ist zu entnehmen, dass, hinsichtlich charakterlicher und geistiger Fähigkeiten (Anforderungen) zwischen Managern und Schachspielern auf hohem Niveau durchaus Parallelen bestehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass jeder Manager auch ein guter Schachspieler und jeder Schachspieler auch ein guter Manager abgeben wird. Es soll nur auf die geistige Verwandtschaft hingewiesen werden.3 Eines ist jedoch sicher: Je weiter ein Schachspieler die Folgen eines Zuges, oder je weiter ein Manager die Folgen einer Entscheidung überblicken und beurteilen kann, desto erfolgreicher wird er sein.
Nach jahrelanger Abstinenz vom Spitzen-Schach in Deutschland ist es den Stuttgarter Schachfreunden von 1879, einem der mitgliederstärksten Schachvereine in Deutschland, gelungen in die 1. Bundesliga aufzusteigen. Die deutsche Bundesliga ist die stärkste Schachliga der Welt, da nach Öffnung der Grenzen ab 1990 sehr viele Großmeister aus dem ehemaligen Ostblock die deutschen Vereine verstärken. Diese Großmeister sind in der Regel alle Berufsspieler und können demzufolge natürlich nur solche Vereine unterstützen, die die finanziellen Voraussetzungen bieten. Eine rühmliche Ausnahme im Kreise der Großen sind die Stuttgarter Schachfreunde, deren exzellente Spieler alle einem bürgerlichen Beruf nachgehen.
Die Auslosung für die Meisterschaftsrunde 2001/2002 hat ergeben, dass Stuttgart am Wochenende des 16. u. 17. März 2002 Gastgeber für eine Doppelrunde mit 3 anderen Mannschaften war. Jede Mannschaft besteht aus 8 Spielern, so dass für 32 Spieler, d.h. 16 Paarungen die bundesligatauglichen Voraussetzungen vorhanden sein mussten. Für einen wohl großen Schachverein, absolut gesehen jedoch kleinen Amateurverein ist es schier unmöglich, für 2 volle Tage diese räumlichen Voraussetzungen zu schaffen.
Die Verantwortlichen der DÜRR AG - Vorstand und Betriebsrat - haben erkannt, dass mit dem strategischem Element und dem permanenten Suchen nach perfekten Lösungen im Schach zu dem Tätigkeitsgebiet von DÜRR eine geistige Verwandtschaft besteht. Deshalb hat sich der Technologie-Konzern DÜRR bereit erklärt im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe -- „Kultur erlebt“ – für diese Veranstaltung in den dafür prädestinierten Räumen die Schirmherrschaft zu übernehmen.
Die Stuttgarter spielten mit folgender Mannschaft:
1. | Groß-Meister | Mihail Golubev | UKR |
2. | GM | Jörg Hickl | GER |
3. | GM | Christian Gabriel | GER |
4. | Internationaler Meister | Dimitri Bunzmann | GER |
5. | IM | Rainer Buhmann | GER |
6. | GM | Eckhard Schmittdiel | GER |
7. | IM | Mathias Duppel | GER |
8. | IM | Frank Zeller | GER (gegen Wattenscheid) |
8. | Fide-Meister (FM) | Igor Berezovsky | GER (gegen Castrop-Rauxel) |
Man sieht, Stuttgart spielte mit nur einem Ausländer; im Vergleich: Der voraussichtliche Deutscher Meister 2002 – Schachverein Lübeck – hat keinen Spieler mit deutschem Pass in seiner Mannschaft!
Aufgrund der von DÜRR-Mitarbeitern hervorragend organisierten Veranstaltung und aufgrund von zwei Stuttgarter Siegen - gegen Castrop-Rauxel wurde 5,5 : 2,5 und gegen Wattenscheid 4,5 : 3,5 gewonnen - und dem lebhaften Interesse von DÜRR-Mitarbeitern sowie den Schach-Enthusiasten aus dem Großraum Stuttgart kann man die Veranstaltung als vollen Erfolg buchen. Mit den zwei Siegen konnte sich Stuttgart in der 1. Tabellenhälfte etablieren und hat mit dem Abstieg nichts mehr zu tun.
Einen tollen Zuspruch fanden auch die in einem Nebenraum von der Damen-Großmeisterin Vesna Misanovic und dem Internationalen Meister Frank Zeller an Demonstrationsbrettern kommentierten aktuellen Partien.
Ich wurde von vielen Besuchern angesprochen, die ihre volle Anerkennung für die Bereitschaft und das Entgegenkommen von DÜRR zum Ausdruck brachten. Die DÜRR-Veranstaltung wird bei allen aktiven Schachspielern und den zahlreichen Besuchern in bemerkenswerter Erinnerung bleiben. Die DÜRR AG hat damit einen Beitrag zu der vom Regionalpräsidenten angestrebten Verbesserung des Images der Region Stuttgart geleistet.
Herzlichen Dank an die DÜRR AG, ihren Mitarbeitern und nicht zu vergessen die Fa. APETITO, die in gewohnter Weise für das leibliche Wohl sorgte.
Tabellenstand der deutschen Schach-Bundesliga nach 10 bzw. 11 Runden
Verein | Mannschaftspunkte | Brettpunkte | |
1. | Lübeck | 21 : 1 | 59,0 |
2. | Köln-Porz | 18 : 2 | 54,0 |
3. | Bremen | 14 : 6 | 49,5 |
4. | Tegernsee | 14 : 8 | 49,5 |
5. | Berlin-Neukölln | 13 : 7 | 44,0 |
6. | Stuttgart | 13 : 9 | 49,0 |
7. | Solingen | 12 : 8 | 46,0 |
8. | Hamburg SK | 12 : 10 | 47,0 |
9. | Bonn-Godesberg | 11 : 9 | 41,5 |
10. | Castrop-Rauxel | 9 : 11 | 37,0 |
11. | Bochum-Wattenscheid | 6 : 14 | 36,5 |
12. | Erfurt | 4 : 16 | 33,0 |
13. | Plauen | 4 : 16 | 30,5 |
14 | Düsseldorf-Heiligenhaus | 2 : 18 | 18,5 |
15. | Hamburg Ksp. | 1 : 19 | 21,0 |
16. | Magdeburg (zurückgetreten) | -- | -- |
Horst Vesper, März 2002