Saisonabschluß am Tegernsee
Versöhnlicher Ausklang mit persönlichem Debakel

 

von Frank Zeller

 

Ich habe die Ehre, zum Abschluß der langen Bundesligasaison zu Wort zu kommen und erhalte dadurch gleichzeitig die Gelegenheit, die eigenen Wunden zu verarbeiten, was mir ein echtes Bedürfnis ist. Vorsicht also: der Bericht könnte leicht subjektiv gefärbt sein...

 

„Oh Tegernsee – du malerisch gelegener Spielort in bajuwarischen Hinterlanden! Wie ausgiebig preisen doch für gewöhnlich die Kommentatoren deine Vorzüge. Warum nur kann ich nicht zum Genuß deiner Schönheiten vordringen, warum kommt die Inspiration nicht über mich? Kann ich dem rustikalen Charme nichts abgewinnen oder liegt es womöglich an meiner desaströsen Bilanz, der das traumhafte Idyll mit Albdruck belegt?“

 

Porz – SSF   5:3

Der Alb begann schon am Münchner Haupbahnhof. Während der Rest der Mannschaft bereits vor Ort zu Mittag speiste, hatte ich als Nachzügler meinen Anschlußzug an den See verpaßt. Nach Ausloten der verbleibenden Reisemöglichkeiten war klar, daß  ich wohl auf 45 meiner wertvollen Minuten werde verzichten müssen!

Nun gut, es ging nicht mehr um all zu viel, der Gegner Porz schien ohnehin übermächtig, aber  es verhält sich ja so, daß, wer nichts zu verlieren hat, befreit aufspielen kann. So lieferten wir einen offenen Kampf. Wenn auch der Porzer Sieg in Ordnung ging, hätte es durchaus noch knapper enden können.

Es begann für uns optimistisch, denn Jörg am Spitzenbrett trotzte der Deutschen Nr. 1, Christopher Lutz, ein Remis ab. Auch Matthias erzielte ein ungefährdetes Remis bei leichtem Vorteil, während sich Rainer und Igor gar mehr ausrechnen konnten. Zumindest für Remis gut schienen die Positionen von Christian und Eckhard, doch hier nahmen die Ereignisse ihre Wende: Christians Gegenüber, Schnellspieler Waganjan, hatte geopfert. Mehr als Dauerschach sollte dabei indes nicht herausspringen. Die arge Zeitbedrängnis ließ den Stuttgarter jedoch fehl greifen, und so war der ganze Zähler weg. Ähnliches widerfuhr Eckhard, ansonsten eigentlich mit einem schnellen Händchen ausgestattet. In aufkommender Hektik bereitete er sich selbst Probleme und büßte letztlich eine Figur ein.

In Ordnung ging Dimitris Verlust gegen den großen Positionskünstler Ulf Andersson. Dieser verdichtete zunehmend seine Stellungsvorteile und erzwang in der Verlängerung die Aufgabe des Stuttgartes. Damit war der Kampf entschieden.

Immerhin gelang noch die Resultatsverbesserung durch die sich bereits abzeichnenden Siege von Rainer und Igor. Ersterer, DER Rückhalt der Mannschaft über die gesamte Saison hinweg, schlug mit Curd Hansen wieder mal einen gestandenen Großmeister (bei ihm beinahe schon Routine) und bewahrte sich damit seine Chancen auf die Großmeisternorm – beachtlich!

Auch Ersatzspieler Igor B. schnappte sich einen Großmeisterskalp. Er durfte im letzten laufenden Spiel des Tages seine Meisterschaft im Standardendspiel Dame gegen Turm beweisen und erledigte die Aufgabe gegen Nijboer mit Bravour.

Bleibt noch, ein paar Worte über meine Partie zu verlieren. Schließlich kommt man, wenn man die geschilderten sieben Begegnungen summiert, zum „Zwischenstand“ 4:3 für Porz, was zeigt, daß meiner Begegnung doch eine gewisse Bedeutung zukam, wenngleich sie nicht als letzte beendet wurde. Wie oben angekündigt, hatte ich bereits vor dem ersten Zug einen empfindlichen Zeitnachteil zu beklagen. Der verlor sich dann zusehends, da mein Gegner Bauer sich in der komplizierten Stellung schwer tat. Die Partie schlidderte in eine hektische Zeitnotphase, in der er mich gar „überholte“ und ich urplötzlich die bessere Zeit und eine bessere, womöglich gar gewonnene Stellung inne hatte. Was dann passierte, – ich muß von Sinnen gewesen sein! Ob die Bundesliga jemals so einen schwachen Zug gesehen hat? Statt seine Dame zu schlagen, laufe ich in ein Selbstmatt! Wer beim Nachspielen der Partie an der Authentität der Notation zweifelt – es war wirklich so, gern würde ich das Gegenteil behaupten können...

 

Godesberg – SSF 4:4

Ein letztes mal noch mußten alle Kräfte aufgeboten werden, schließlich bot das direkte Duell gegen den Tabellennachbarn noch die Chance, durch einen Mannschaftssieg einen achtbaren siebten Platz in der Abschlußtabelle zu erringen. Und dieser Sieg war nicht unrealistisch, denn nominell waren wir leicht favorisiert, vor allem an den hinteren Brettern. Von daher vertrug es sich durchaus mit der Marschroute, daß an den Spitzenbrettern schnell Remisen geschlossen wurden. Zunächst war es Dimitri, der sich mit der Punkteteilung von einer persönlich wenig zufriedenstellenden Saison befreite. Diesem Vorbild folgten Jörg und Christian. Für die beiden war es der Abschluß einer gelungenen Saisonleistung. Vor allem Jörgs Abschneiden am 1. und 2. Brett war beachtlich, bedenkt man, daß er nebenbei als Teamkäpt‘n noch einen Haufen organisatorischen Ballast mit sich herumschleppte. Am Brett war er aber stets hochkonzentriert und bot der Prominenz durch gekonntes Einhickeln die Stirn.

Auch bei Matthias zeichnete sich alsbald die friedliche Einigung ab. Nix los!

Nach furiosem Start in die Saison hatte er zwischendurch seinen Hänger, war gegen Ende hin aber wieder konstant und „remissicher“. Insgsamt war er doch eine solide Bank an der „verlängerten Mittelachse“.

Blieben vier Partien, in denen nur eine kritisch für uns aussah, nämlich die von Rainer. Der war wohl gedanklich zu sehr bei seinem Ziel Großmeisternorm, für die er unbedingt gewinnen mußte, und sah sich plötzlich mit einem schwierigen Endspiel konfrontiert.

Nach drei Stunden Spielzeit gab’s dann den ersten dramatischen Höhepunkt. Für den sorgte unfreiwillig Eckhards Gegner: er hatte seine Zeit auf eine Minute ablaufen lassen (gegenüber einer Stunde bei Schmittdiel!) und mußte noch an die 20 Züge blitzen. Kein Wunder, daß da die Adrenalinausschüttung zu unkontrolliertem Zittern und Rudern führte und ein Wasserglas der Grobmotorik zum Opfer fiel! Ungerührt von solchen Störversuchen behielt Eckhard auch selbst das straffe Tempo bei und hob den Godesberger über die Zeit, während noch Scherben und Pfützen den Tisch überwucherten.

Das war die Führung für uns. Schade nur, daß mittlerweile der leichte Vorteil bei Igor verpuffte und die Partie ins Remis mündete.

Mit 1,5 aus 2 kann er jedenfalls auf ein erfolgreiches Wochenende zurückblieben!

So, nun sind wir wieder so weit – Zeit, sich meiner Partie anzunehmen:

Nach der Vortagspartie fühlte ich mich doch leicht moralisch gehandicapt, aber auch zum Sieg verpflichtet. Es ließ sich gut an, dreißig Züge lang kontrollierte ich die Partie und zum leichten Vorteil gesellte sich ein deutlicher Vorteil auf der Uhr. Doch es ist wie ein Fluch: stets verliere ich in der Zeitnot meiner Gegner völlig den Faden, das passiert mir nun schon seit Monaten! Der Plan, zwecks Linienöffnung gar meine eigene Königsstellung zu öffnen und ein erhöhtes Risiko einzugehen, war ganz interessant und vielleicht nicht völlig verkehrt, aber man sollte dann bitteschön auch exakte Züge machen. Doch nach mehreren Ungenauigkeiten in Folge, unter anderem einem völlig bescheuerten Zug, der zwei Tempi verlor, sah ich mich plötzlich mit Problemen konfrontiert. „Ein Fehler kommt selten allein“, es kam noch schlimmer, und ich lief - als wollte ich selbsterfüllend eine Duplizität der Ereignisse herbeiführen – wieder ins Selbstmatt!

Das Lästige am Schach ist eigentlich, daß Selbstkontrolle gefordert ist und keine Sandsäcke oder sonstige Gerätschaften zum Aggressionsabbau vorhanden sind. Beim „post-mortem-Spaziergang“ an der Uferpromenade entluden sich meine Emotionen endlich an einem unschuldigen Müllcontainer.

Den Schlußpunkt durfte Rainer besorgen. Es stand 3,5:3,5 und er besaß immer noch die schlechteren Karten. Nichtsdestotrotz erlahmte sein Siegeswillen auch jetzt nicht, und als ihm der Gegner gar eine Zugwiederholung aufnötigte, war er über dieses Ende nicht gerade erfreut!  

 

Ein kleines Fazit der Saison:

Entgegen einiger Befürchtungen zeigte die Mannschaft durchaus, daß sie im Oberhaus mithalten kann. Der9. Platz im gesicherten Mittelfeld ist recht respektabel.

Mir eröffnete sich der Eindruck, daß auch die Großen nicht vor Fehlern gefeit sind und das Niveau der Partien nicht den allseitigen Erwartungen entspricht. Viele Bundesligisten neigen - wie auch die „Normalos“ in den unteren Regionen – dazu, sich in Zeitnot zu manövrieren. Da wird dann der Partieverlauf oft auf den Kopf gestellt und Patzer gehören zum Alltagsbild.

 

Unsere Ex-Profis verfügen über genügend Erfahrung, um an den Spitzenbrettern Paroli bieten zu können. Hickl, Gabriel und Bunzmann waren verlässlich und gegen Jedermann für ein Remis gut. Etwas anders verhält es sich für unseren Spitzenmann Golubev, der seine Partien stets auf Biegen und Brechen anlegt. Deshalb war es auch klug, ihm das erste Brett anzubieten, denn dort kann er genausoviel Punkte wie am 3. Brett erzielen. Von den Jungstars im Mittelfeld zeigte Buhmann am meisten Biß und Willen zum Sieg. Respekt hat er keinem großen Namen gezollt. Gut, der Namensähnliche, Bunzmann, war schachlich etwas ausgepowert und hat seine Interessen gerade auf anderen Gebieten gebündelt, aber selbst ein müder Bunzmann ist noch ein starker Spieler.

Abstriche mußten höchstens an den hinteren Regionen gemacht werden, wo etliche Punkte auch gegen nominell schwächere Gegner verloren gingen. Volke zeigte sich nicht in Form und wenig motiviert.

Bei Schmittdiel und mir gab es ein Leistungsbild mit Ähnlichkeiten: mal top, mal hop, beinahe wie in der Lotterie. Letzteres traf besonders auf  meine Partien in der Zeitnotphase zu.

Von den Ersatzspielern verdiente sich eindeutig Berezovsky mit seiner Kontinuität die besten Noten.