3 Punkte für die Schachfreunde bei Spieltag in Erfurt:
„Schwache“ Plauener überraschend gefährlich
von Frank Zeller
Die Reise nach Erfurt, der „Stadt der Türme“ (eine Bezeichnung, die NICHT vom Schach herrührt!),
begann zunächst etwas hektisch, nahm im Weiteren durchs steigende Geschick unseres erfahrenen
Reiseleiter (Stichwort: Hickl-Reisen) einen gelungenen Verlauf.
Das im Voraus gesetzte Ziel, vier Punkte im Kampf gegen den
Abstieg, konnte nicht gänzlich in die Tat umgesetzt werden. Mit den erzielten
drei Punkten dürfen indes die Stuttgarter sehr zufrieden sein. Natürlich ist der
Klassenerhalt noch nicht gesichert, doch sollte er meines Erachtens aber durchaus
machbar sein.
Die Bundesliga ist hart, aber andererseits sind auch
Großmeister nicht vor Fehlgriffen gefeit und oft nehmen die Partien auch in der
Bundesliga skurille Formen an. Wie unser Mannschaftskäpt‘n Jörg H. sinngemäß
andeutete, ist es vor allem wichtig: a) nicht in Zeitnot zu geraten, und b) in
Zeitot die Nerven zu bewahren. Wie einleuchtend und schlicht sich dies anhören
mag, so viel tiefere Erkenntnis liegt darin. Eine glückliche Umsetzung dieser
Weisungen sei nun schon die halbe Miete auf dem Weg zum Erfolg. Ich stimme dem durchaus
zu!
Samstag, 24. 11.; 3.Runde:
Plauen – SSF 4:4
Von der Papierform her war Plauen an diesem Wochenende unser
schwächerer Gegner. Begünstigend für uns war der Umstand, daß Plauen den weltmeisterschaftsbedingten
Ausfall von Beljawsky und Bönsch zu beklagen hatte und so eine qualitative
Lücke in ihrem Mannschaftsgefüge klaffte, welche sich durch die Ersatzspieler
keinesfalls anfüllen ließ. Fast an allen Brettern, besonders im hinteren Teil,
waren wir rund 100 Elopunkte überlegen. Von daher lautete unser Kalkül so ungefähr:
vorne dicht machen und hinten punkten! Es zeigte sich dann, daß Theorie und
Praxis zweierlei Stiefel sind. Nach zwei Stunden hatte man eher das Gefühl, daß
wir wenn, dann eher vorne kleinere Vorteile anhäufen könnten, während an den
hinteren Brettern „gemischte“ bis unklare Situationen entstanden und einiges
bereits auf Zeitnotschlachten hindeutete. Von unserer Eloüberlegenheit jedenfalls
keine Spur!
Vor allem auf die Bretterachse 3-4 setzte ich, wo Christian Gabriel
und Dimitrij Bunzmann über leichten Positionsvorteil verfügten. Diese
Hoffnungen indes zerstoben sich, als Dimitrij unfreiwillig in eine Zugwiederholung
einlenken mußte, während Christian sich mit Gegenüber Kindermann, dem Kollegen
bei Chessgate, auf Remis einigte, wobei ich nun leider noch nichts
Detaillierteres über die Schlußstellung in Erfahrung habe bringen können. Die
Stellung war wohl ausgegleichen, wenngleich noch (weiter-)„spielbar“. Ähnliches
traf auch auf die Begegnung am Spitzenbrett Golubev-Bischoff zu: der leichte
weiße Rückenwind führte zu einem Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern, wohl
mit Remistendenz, wenngleich Mikhail noch gewisse Versuche hätte unternehmen
können.
Das vierte Remis war eher ein erfreuliches Remis, denn
Valery Bronznik, nach einem kleinen taktischen Überseher unter Druck geraten,
hielt die Stellung zusammen, sicherte sich das Dauerschach und konnte gar noch
einen kleinen, wenn auch unfruchtbaren, Gewinnversuch starten.
Blieben vier Partien, die in die Zeitnotphase schlitterten.
Unter denen war Matthias Duppel der einzige, der nicht in akute Gefahr geriet,
der sowohl Position als auch Zeitnot solide verwaltete und bei dem sich langsam
ein erkennbarer Stellungsvorteil herausschälte. Kritisch wurde es dagegen bei den
Übrigen: Jörg am zweiten Brett hatte zwischendurch Umsicht vermissen lassen und
stand mehr als bedenklich, Rainer Buhmann besaß zwar Materialvorteil, war aber
in arger Zeitnot nicht zu unterschätzenden Drohungen gegen seinen Monarchen
ausgesetzt - keine angenehme Aufgabe also.
Auch bei mir, Frank Zeller, galt: Materie gegen Dynamik.
Hier sprach vor allem der Umstand, daß der Plauener sich in rasanter Zeitnot befand,
für mich, wenngleich meine Stellung wacklig anmutete. Während auf der einen
Seite nun Jörg das Unglück mit gegnerischer Hilfe abwehren konnte, ereigneten
sich die tragischen Minuten für die Schachfreunde: ich ließ mich vom plötzlich wie
entfesselt ziehenden Gegner so irritieren, daß ich völlig den Faden verlor, die
Stellung ruinierte und gar noch selbst die Zeit überschritt! Rainer behielt
lange den Vorteil, wollte – so eine Aussage der Plauener auf deren Homepage –
auch keine Zugwiederholung reklamieren, um zuguterletzt doch noch Opfer seiner
Zeitnot zu werden!
Nach vier Stunden also stand es 2:4 gegen uns. Zwar
vergrößerte Matthias seinen Vorteil zusehends, aber bei Jörg schien nicht mehr
als die Punkteteilung drinn zu sein. Düstere Aussichten also - und kurzzeitig
saß uns das Abstiegsgespenst ganz gehörig im Nacken.
Schließlich mußten wir dem „armen“ Markowsky dankbar sein,
der wohl noch den vergangenen Chancen hinterher träumte und zwischen Zug 40 und
50 keinen guten Zug mehr aufs Brett brachte. Die versierte technische
Ausnutzung und die Zähigkeit Jörgs muß dennoch lobend erwähnt werden. Die
großmeisterliche Fitneß entschied den Tag. Am Ausgleich durch Matthias blieb
dann kein Zweifel: er war der einzige Stuttgarter, der souverän den Punkt
heimfuhr.
Fazit: gerade mal einen wichtigen Punkt gerettet, der
gegenüber einen Konkurrenten im Abstiegskampf doppelt zählt. Warum war nicht
mehr drinn? Gut, die Niederlagen an den Brettern 5 und 7, bei nominellem
Vorteil plus den weißen Steinen, kamen unerwartet und waren schlechter Zeiteinteilung
/ schlechtem Zeitnotverhalten zuzuschreiben. Das sollte nicht passieren, kann
aber mal passieren. Vielleicht wurde auch zu sehr und zu früh auf die
Überlegenheit an den hinteren Brettern vertraut. Drei frühe Remisen bei jeweils
leicht vorteilhafter Stellung könnten sich später rächen. Auf jeden Fall
sollten Remisen erst nach Absprache mit den Kollegen/ dem Kapitän vereinbart
werden, und das, glaube ich, war an diesem Tag nicht der Fall...
Sonntag, 25. 11. 01:
Stuttgart – Erfurt 6:2
Die samstägliche Vorstellung ließ für den
Kampf gegen die Hausherren, nominell stärker als die Plauener, nichts Gutes erwarten.
Dennoch oder vielleicht gerade deshalb gingen die Stuttgarter konzentrierter,
motivierter ans Brett und man bekam schon bald den Eindruck, zumindest mir
wollte es so erscheinen, daß es heute viel besser für uns laufen würde. Ein wichtiges
Indiz für diesen Optimismus lieferte die Partie Pähtz – Gabriel. Ersterer hatte
versucht, mit Zugumstellungen die klassischen spanischen Bahnen zu bereichern, freilich
ein Versuch, der gründlich mißlang. Als Christian postwendend ein
vorübergehendes Figurenopfer brachte, war klar, daß Weiß bereits nach der
Eröffnungsphase nur noch ums nackte Überleben kämpfen konnte.
Erstaunlicherweise war es gerade diese Partie, die beinahe noch zu einer Wende des
Kampfes hätte führen können; dazu später.
Mit der eigenen Partie war ich auch
zufrieden, hatte mir mein Gegner doch erlaubt, zu igeln, und nach seiner
harmlosen Behandlung war ich alsbald in der Lage, die typischen Igelstacheln
auszufahren und die Initiative zu übernehmen. Hinzu zum positiven Bild gesellte
sich Rainer, der von der gestrigen Niederlage noch etwas mitgenommen mit einer „Noteröffnung“
gestartet war, denn sein Gegner unterließ die strengste Examination und unser „Mann
im Nationalteam“ durfte seine Kräfte harmonisch aufstellen. Gut standen
desweiteren Matthias mit einer typisch zentrierten Raumvorteilstellung, und auch
Dimitrij war ein Kandidat für „Remis-plus“,
was sagen will: mindestens Remis drin! Unserem Jüngsten schien es an diesem Wochende
weniger an Eleganz (Stichwort: Trainer Kalinitschew), dafür eher an Kampfkraft
zu fehlen. Zum zweitenmal mündete die gute Anlage bei ihm ins Unentschieden.
Sorgen machte zwischendurch höchstens Valery. Der hatte sich
auf einen Plan versteift, der taktisch nicht funktionierte und mußte fortan
stundenlang ums Remis kämpfen.
Die Vorteile an der „verlängerten Mittelachse“ wandelten
sich langsam in Zählbares um: der erste war Matthias, der mit einfach
aussehenden Mitteln (zentralisieren, abtauschen, siebte Reihe) die Schwächen
ausbootete, die sein Gegner sich selbst zugefügt hatte. Kurz nach der
Zeitnotphase gewann ich selbst, nicht ohne dabei meinen Gegenüber noch eine
Chance (in dessen Zeitnot wiederum!) gegeben zu haben, die er nicht ergriff. Etwas
später führte Rainer das Damenendspiel zum Gewinn. Zu diesem Zeitpunkt war der
Mannschaftssieg bereits unter Dach und Fach.
Dazu müssen wir noch das spannende Geschehen an den drei
Spitzenbrettern, welches wir bisher aussparten, unter die Lupe nehmen: die
einzige Niederlage des Tages ging auf Kosten unseres weitgereisten Ukrainers
Mikhail Golubev. Leider habe ich da kaum Informationen, denn er selbst muß wohl
ziemlich schnell nach der Aufgabe abgereist sein und die Partienotation konnte
ich auch nicht einsehen. Nach rund zwanzig Zügen stand der Königsinder Mikhail
wohl etwas schlechter, aber es sah noch nicht besorgniserregend aus. Scheinbar
kam er nicht dazu, sein gewohnt dynamisches Spiel zu entfalten, was wohl dem umsichtigen
Spiel seines Gegners Haba zuzuschreiben ist. Gut, war nicht tragisch, hätte
aber tragisch werden können, wenn... ja wenn Pähtz das zweizügige Matt erkannt
hätte! Wie oben kurz angedeutet schien Pähtz – Gabriel bereits nach der Eröffnung
entschieden zu sein. Der Vorteil aber nun verflüchtigte sich zusehends.
Jedesmal, wenn ich am Brett vorbeischlenderte, war er weniger geworden, und
schließlich war die horrende Pähtzsche Zeitnot der einzige Vorteil des
Stuttgarters. Weitere Unachtsamkeiten Christians forderten ein aussichstreiches
Opfer geradezu heraus, welches in einem Matt hätte enden können. Stattdessen
blieb Weiß mit deutlichem Materialnachteil zurück. Puh! Nochmal gut gegangen - durchatmen
und erleichert sein....weiter geht’s:
Die Hickl-Partie. Wer noch nicht mit dem stehenden Begriff
des „Einhickelns“ vertraut gemacht worden ist, sollte sich die Partie Hickl –
Kuczsynski zu Gemüte führen. So pflegt Jörg seine Partien meist zu spielen und –
was erstaunlicher ist – zu gewinnen! Tut nicht viel, tastet herum, wartet, läßt
den Gegner überlegen, hat nicht viel, ist aber auch unantastbar! Nach dreißig Lavierzügen
und ein, zwei schwächenden gegnerischen Zügen bekommt dieser plötzlich gewisse
Probleme, die Zeitnot gesellt sich dazu, und schwupp ... ist der Bauer weg –
das war’s dann auch schon.
Wichtige Siege von Hickl und Gabriel plus die solide
Mittelachse: so kann man (fast) alle Gegner schlagen!
Zum krönenden Abschluß hielt Valery noch in der
siebenstündigen Verteidigunsschlacht stand. Sehr erfreulich für ihn – so konnte
die Heimfahrt in ungetrübter Stimmung verlaufen.
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