Réunion 2012


Eine kleine Vulkaninsel im Indischen Ozean östlich von Madagaskar

Wie um Himmels Willen kann man denn nur so verrückt sein um die halbe Welt zu fliegen nur für ein Schachturnier? Bei mir war es die reine Übersprungshandlung, spontan und mindestens partiell vollkommen unüberlegt. Sonst hätte ich es sicher nicht gemacht. Auch wenn ich diese Aktion eher nicht wiederholen werde, so bereue ich es nicht im Geringsten. Im Gegenteil, es hat sich richtig gelohnt, nicht nur wegen 400 € Preisgeld!

Für den Sommer 2012 hatte ich mir so viele tolle Turniere vorgenommen, in phantastischen Städten wie das Husek-Turnier in Wien oder direkt an wunderbaren Stränden wie Senigallia an der Adria, das schöne und leider wohl einmalige Turnier bei Cagliari auf Sardinien, oder andere wunderbare Ferienturniere wie Condino in den südlichen Alpen. Aber alles hat irgendwie nicht geklappt, sei es wegen der Arbeit, wegen privater Verpflichtungen oder wegen sonst was. So war ich im Herbst 2012 so gierig auf irgendein Schachturnier in der Sonne, dass ich den FIDE-Kalender nach geradezu allem durchsucht habe und an einem Montag im Oktober dieses Turnier auf Reunion fand, Beginn schon am folgenden Freitag. Dazwischen lag noch unser Nationalfeiertag am 3.Oktober, so dass gerade mal genug Zeit für die nötigsten Reisevorbereitungen blieb.

Der Gedanken an einen sonnenüberfluteten Sandstrand hatte meine Sinne derart paralysiert, dass ich mir in der Kürze der Zeit nicht einmal einen Moment Zeit nahm, um irgendetwas über die Insel zu lesen. Dann hätte ich nämlich gewusst, dass es mit einem schönen Sandstrand und entspanntem Baden nichts wird, da die ganz wenigen Strände an der Westküste viel zu weit vom Spielort weg sind, und diese Insel ansonsten wegen der schroffen Vulkanlandschaften eher ein Paradies für diese wahnsinnigen nimmer ermüdenden Querfeldein-Läufer ist, die dort genau zur gleichen Zeit einen World-Cup austrugen.

Nach dem Motto Augen zu und durch habe ich einen Tag später schon den Flug gebucht und damit die Sache endgültig gemacht. Von Deutschland aus bezahlt man an die 900 € dafür, und man muss auf jeden Fall über Paris. Dort gibt es einen Shuttle-Bus vom Flughafen Charles-de-Gaulle nach Orly, und von dort fliegen jeden Abend gegen 21 Uhr zwei Jumbos Richtung Réunion. Wenn man das Horn von Afrika und die somalische Küste überfliegt, hat man schon fast den halben Weg hinter sich!

Ebenfalls schon vor dem Abflug hatte ich per Email Kontakt mit GM Hans-Joachim Hecht aufgenommen, dessen Name ich erstaunt in der Teilnehmerliste entdeckt hatte. Ich wollte eigentlich nur wissen, ob Herr Hecht auch wirklich kommt, und ob er eventuell ein günstigeres Hotel kennt als dieses Bellepierre. Vor der ersten Runde erkundigte sich Herr Hecht sofort nach unseren Vereinskollegen, die er von früher kannte: nach „den Brüdern Schmid“, mit denen er in den 50-er Jahren zusammen Deutsche Jugendmeisterschaften gespielt hat, und auch nach Herrn Hottes. Als Pensionär genießt Herr Hecht diese Reisen zusammen mit seiner Ehefrau, und für die Folgewoche hatten die beiden schon einen Wagen gemietet, um die Insel noch weiter zu bereisen.

Ebenfalls noch am Tag vor der Abreise hatte ich Kontakt mit dem Chefredakteur des Schachmagazins 64 aufgenommen, IM Otto Borik. Das SM64 ist die deutsche Schachzeitung, die mir mit Abstand am besten gefällt, und die einzige, die ich abonniert habe. Otto Boriks Name ist mir aus meinem „ersten Schachleben“ noch sehr geläufig, als ich einen Teil meiner Bundeswehrzeit bei der Sportfördergruppe in Essen-Kupferdreh verbrachte (siehe diesen Scan einer vergilbten Stern-Ausgabe des Jahres 1975: http://www.csey.de/gif/kupferdreh.gif). Meine damaligen Kollegen Hans-Werner Ackermann und vor allemWolfgang André wurden nicht müde von Ottos Schachkünsten zu schwärmen.

Außer Hajo Hecht war ein weiterer Deutscher dabei, Patrick Linder aus Pforzheim, der auf der Seite des Badischen Schachverbandes von diesem Turnier berichtet hat, sowie neben ein paar Franzosen noch ein Spieler aus Schweden und einer aus Norwegen.

Doch nun werde ich faul und setze mit dem Text fort, den ich Otto Borik unmittelbar nach dem Turnier geschickt habe.

Schach 974

Verspätete Schach-Sommerferien am Indischen Ozean im südlichsten Teil Frankreichs

Nein, keine Sorge, niemand hat 14 weitere Grundstellungen zum Fischerschach entdeckt. Die Zahl 974 ist die Nummer des französischen Übersee-Departements „Ile de la Réunion“, eine klitzekleine Vulkaninsel östlich von Madagaskar. Das Symbol 974 steht hier auf jedem Autokennzeichen und wird daher gerne als Synonym für das kleine Land mit seinen 800.000 Einwohnern verwendet. Geographisch ist Afrika zwar nicht weit, aber hier sieht es gar nicht nach Afrika aus, alles ist 100% französisch. Und es ist auch keineswegs billig dort, denn die Leute, die für den Staat arbeiten, wie Beamte, Lehrer und Polizisten, verdienen 30% oder 50% mehr als im französischen Mutterland. Genauso ist es dann später mit der Rente, sofern sie auf der Insel bleiben.

Auf Réunion gibt es seit vielen Jahren ein Open. Früher fand es im wunderschönen Süden der Insel statt, aber seit wenigen Jahren wird es in der Hauptstadt Saint Denis im Norden der Insel ausgetragen.

Das Engagement der Veranstalter ist phantastisch. Sie tun wirklich alles, damit das Turnier für jeden Teilnehmer ein unvergessliches Erlebnis wird, selbst wenn es mit dem Schach nicht so klappt. Man wird von Jean Olivier, dem Präsidenten des veranstaltenden Clubs „Echiquier du Nord“ (= Schachspieler des Nordens), am Flughafen abgeholt und wieder hingebracht. Für den spielfreien Tag hatte Daniel Tching Sin eine ganztägige Bustour vorbereitet um den ausländischen Teilnehmer so viel wie möglich von der Insel, den Kratern und den phantastischen Aussichten zu zeigen – alles gratis! Wer Lust hatte, konnte dabei seine Fitness durch den Abstieg zu einem erloschenen Krater testen. An den beiden Tagen mit Doppelrunden hatte Alain Lao-Thive, ein weiteres Mitglied des vielköpfigen Organisationskomitees, ein tolles Mittagessen für alle spendiert, oder war es seine Ehefrau? Und vor den Runden konnte es dann schon mal passieren, dass man einfach von diesen phantastischen Ananas angeboten bekam. Die Ananas schmeckt nämlich nirgendwo auf der Welt so gut wie hier!

Vor jeder Runde wurden zwei bis drei Spieler, meist aus der unteren Tabellenhälfte, sehr oft Jugendliche, für ihren Erfolg gegen einen höher bewerteten Spieler in der Vorrunde geehrt. Die Teilnehmer aus Übersee erhielten alle ein Turnier-T-Shirt und alle bekamen am Turnierende einen USB-Stick mit sämtlichen Partien und vor allem mit allen Fotos. Denn es wurde permanent fotografiert. Die Fotos der Vorrunde erschienen teilweise in einem gedruckten täglichen Bulletin (Farbdruck!) mit allen Partien und sie liefen außerdem als Diashow auf einer Leinwand im Turniersaal, sowie im Blog auf der WebSeite des Veranstalters.

Im Turnier bahnte sich schon bald ein Durchmarsch des Vorjahressiegers IM Khamparia Akshat aus Indien an. Erst in der neunten und letzten Runde gönnte er FM Olivier Letreguilly ein Kurzremis. Einzig GM Hans-Joachim Hecht hätte ihn in der sechsten Runde stoppen können, verpasste aber im 29-ten Zug bei knapper Bedenkzeit den Gewinnzug Sf6+ und gab wenig später auf. Bemerkenswert war auch das starke Spiel des erst 13-jährigen Fy Antenaina Rakotomaharo, der GM Hecht am Rande einer Niederlage hatte.

Der Beginn dieser Partie aus Runde 1 hier im Foto.

Zum allgemeinen Niveau der hiesigen Spieler sei berichtet, dass gleich in der ersten Runde die Nr.1 Madagaskars, Alain Ranaivoharisoa (ELO 2175), der im Sommer 2012 für seinen Sieg bei der Afrika-Meisterschaft der Zone 4.3 dem IM-Titel erhielt, und gegen den ich im Januar 2012 in Gibraltar verloren hatte, einem 14-Jährigen aus Réunion mit ELO 1675 unterlag: Pierre-Alexandre Nassau (im Foto ganz links).

Endtabelle

Platz Preis Name ELO Föd. Pkt. Bh. Perf.
1 1200 IM Akshat, Khamparia 2382 IND 31 2614
2 1000 GM Hecht, Hans-Joachim 2347 GER 7 32 2343
3 800 FM Reinhart, Emmanuel 2312 REU 7 30 2280
4 600 Ramasindraibe, Girard 1982 MAD 7 24 2090
5 500 FM Letreguilly, Olivier 2343 REU 30 2246
6 400 Seyfried, Claus 2160 GER 29½ 2224
7 300 Hamon, Christian 2053 REU 28½ 2098
8 Rakotomaharo, Fy Antenaina 1995 MAD 6 27½ 2142
9 Boos, Olivier 2014 REU 6 27½ 2046
10 IM Ranaivoharisoa, Alain 2175 MAD 6 27½ 2048

Insgesamt waren 79 Teilnehmer aus 8 verschiedenen Ländern am Start: ein Inder, vier Deutsche, je ein Norweger und Schwede, ein paar wenige Franzosen vom Mutterland, zahlreiche Franzosen aus Reunion, etliche Spieler aus Madagaskar, sowie jeweils ein oder zwei Spieler aus Mauritius, den Seychellen und Guyana.

Links

Bericht in der November-Ausgabe 2012 von IM Otto Boriks Zeitschrift "Schachmagazin 64": pdf mit meiner Gewinnpartie gegen Olivier Boos (REU 2014), laut Otto Borik eine Partie wie ein „tropischer Sturm“!

PDF (0,24 MB)

  Claus Seyfried, 2012